Wer kifft, sieht schlechter

Der Konsum von Cannabis verschlechtert das Sehvermögen. Das kann besonders beim Autofahren gefährlich werden. Aber welche Funktionen des Auges sind nach dem Konsum von Cannabis eigentlich beeinträchtigt?

Peter Jankovsky, Kommunikation Retina Suisse, peter.jankovsky@retina.ch

Sei es Alkohol oder Cannabis: Wer diese Stoffe konsumiert, muss eine Verschlechterung der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit hinnehmen. Auch wird die Reaktions- und Entscheidungszeit länger, die Koordination von Bewegungen fällt schwerer – und man sieht schlechter, wie neuere Studien zeigen.

Welche Auswirkungen hat Cannabis auf die visuelle Wahrnehmung beim Autofahren? Diese Frage ist sehr relevant, denn das Sehen ist der wichtigste Faktor beim Lenken. Forschende der Universität Granada in Spanien widmeten sich als erste gezielt dieser Frage und erbrachten vor einigen Jahren den Beweis für eine Verminderung des Sehvermögens durch den berauschenden Cannabis-Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol).

«Der Konsum von Cannabis hat negative Auswirkungen auf die Sehfunktion und auf das Fahrverhalten», halten die Forschenden in ihrer 2020 publizierten Studie fest. Dabei sei das weniger sichere Lenken zu einem grossen Teil auf das eingeschränkte Sehvermögen zurückzuführen, wird betont. Um ein Auto gerade auf der Fahrbahn zu halten, brauche es nämlich eine ausreichende Sehschärfe und Fokussierung sowie ein gutes Kontrast- und räumliches Sehen.

Fahrsicherheit ist während sechs Stunden beeinträchtigt

Wie beim Alkoholkonsum gilt auch punkto Cannabis ein Grenzwert für alle Autofahrer*innen. In der Schweiz beträgt dieser THC-Grenzwert 1,5 Mikrogramm pro Milli-Liter: Wer ihn überschreitet und bei einer Fahrkontrolle erwischt wird, begeht gemäss Gesetz eine Straftat. Allerdings diskutiert man seit einigen Jahren über eine Anhebung des Grenzwertes, die im Zusammenhang mit einer möglichen Liberalisierung des Cannabiskonsums steht.

Im Nachbarland Deutschland ist der Grenzwert bereits angehoben worden. Wer hinter dem Steuer sitzt, darf statt wie früher 1 Mikrogramm nun bis zu 3,5 Mikrogramm pro Milli-Liter THC im Blut haben. «Fachgesellschaften und Polizei sehen das als sehr kritisch an, denn der Konsum von Cannabis kann sich in den ersten sechs Stunden erheblich auf die Fahrsicherheit auswirken», betonte kürzlich Prof. Dr. Frank Musshoff, Geschäftsführer des Forensisch-toxikologischen Centrums in München, im Rahmen des 122. Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.

Im Zeitraum von ungefähr sechs Stunden baut der Körper den THC-Gehalt im Blut ab. Bei gelegentlichen Konsument*innen, von welchen wegen fehlender Cannabisgewöhnung wohl eine höhere Gefahr beim Autofahren ausgeht, liegt der Gehalt nach sechs Stunden durchaus wieder unter einem Wert von 1 Mikrogramm pro Milli-Liter.

Angesichts des neuen Grenzwertes von 3,5 Mikrogramm aber sinkt der THC-Gehalt im Blut der Gelegenheitskonsument*innen nun deutlich früher unter das erlaubte Limit – weil es eben höher angesetzt ist. Aber gleichzeitig stehen die Betreffenden beim Fahren noch klar unter der Wirkung des THC. Das ist der Nachteil, den die Behörden anprangern.

Das räumliche Sehen leidet merklich

Nun gibt es laut Musshoff aktuelle Studien, die sogar von erheblichen Beeinträchtigungen der Sehfunktionen durch THC sprechen. Zum einen ist unter Cannabiseinfluss die Tiefenwahrnehmung gestört. Räumliches Sehen kommt durch die Zusammenarbeit beider Augen vor allem beim Betrachten naher Gegenstände und durch Verarbeitungsprozesse im Gehirn zustande, und all diese Vorgänge sind nach dem Konsum von THC merklich beeinträchtigt.

Im Strassenverkehr bedeutet dies konkret: Geschwindigkeiten, Abstände und Entfernungen werden nicht richtig eingeschätzt. In der Folge kommt es zum Beispiel zu Kurvenunfällen durch verspätetes Bremsen oder zu Unfällen mit Entgegenkommenden beim ohnehin heiklen Linksabbiegen.

Cannabiskonsument*innen sind stärker geblendet

Weiter belegen die aktuellen Studien, dass die Schwierigkeiten mit der Tiefenwahrnehmung das Problem hervorrufen, beim Fahren nicht mehr so gut die Spur halten zu können. Auch das Kontrastsehen ist oft vermindert.

Ferner wurde mehr Streulicht in den Augen THC-beeinflusster Studienteilnehmer gemessen. Das heisst, bei Gegenlicht ist man unter Cannabiseinfluss stärker geblendet. Kontrastsehen und Blendungsempfindlichkeit sind insbesondere bei Nachtfahrten relevant.

Die Augen bewegen sich langsamer

Weiter belegen die Studien, dass sich unter Cannabiseinfluss Augenbewegungen verzögert vollziehen. So erkennt man mit THC im Blut ein spielendes Kind am Fahrbahnrand oder einen auf die Strasse rollenden Ball deutlich langsamer bzw. später.

Die im Strassenverkehr wichtige Fähigkeit, eine Umgebung schnell zu erfassen und unmittelbar darauf zu reagieren, ist damit verringert. Bei regelmässigem Cannabiskonsum können diese Defizite sogar permanent auftreten.

Senkt der Cannabis-Wirkstoff CBD den Augendruck wirklich?

Neben Tetrahydrocannabinol (THC) ist Cannabidiol (CBD) der zweite wichtige Wirkstoff von Cannabis. THC ist für die berauschenden Wirkungen verantwortlich, während CBD keine solchen Effekte bewirkt und zu medizinischen Behandlungszwecken eingesetzt wird. Gesichert ist eine positive Wirkung von Cannabidiol bei Erkrankungen, die Krampfanfälle auslösen. Daneben wird oft versucht, mit CBD Gelenkschmerzen bzw. Arthritis, Migräne, Morbus Crohn, Diabetes, Schlafstörungen, multiple Sklerose, Menstruationsschmerzen, Fibromyalgie und Angstzustände zu lindern.

Als typische Symptome für den Konsum von Cannabis gelten gemeinhin die Rötung der Augenbindehaut, ein verringerter Tränenfluss – und das Absinken des Augeninnendrucks. Gerade deswegen kommt die Frage auf, ob Cannabiskonsum bei Grünem Star eine positive Wirkung entfaltet bzw. die Zerstörung des Sehnervs verlangsamen kann.

Bisherige Studien über CBD und dessen Einfluss auf den Augeninnendruck bleiben jedoch widersprüchlich. Es lässt sich nicht ausschliessen, dass CBD den Augeninnendruck auch negativ beeinflussen, sprich sogar erhöhen kann.

Cannabis ist bei Grünem Star nicht das beste Mittel

Zur Illustration der vorsichtigen Haltung seitens der ophthalmologischen Forschung folgen hier Ausschnitte aus einem Begleitchat zur SRF-Sendung «Cannabis in der Medizin» vom 17.10.2016. Der Augenarzt, der auf die spezifischen Fragen antwortet, ist Dr. Claude Vaney, Chefarzt Neurologie der Berner Klinik Montana und Leiter der Arbeitsgruppe «Beschränkte Abgabe von Betäubungsmitteln» beim Bundesamt für Gesundheit.

Frage: Ich habe früher einmal gehört, dass Cannabis auch bei Augenkrankheiten hilft. Stimmt das? Meine Mutter sieht auf einem Auge gar nichts mehr, auf dem anderen knapp 10 Prozent. Könnte die Einnahme eines Cannabis-Medikamentes diese Restsehkraft erhalten oder gar bessern?

Antwort von Claude Vaney: Es gibt Hinweise, dass Cannabis den Augendruck senkt, also beim Glaukom hilfreich sein könnte. Aber es gibt hierfür wirksamere Substanzen auf dem Markt!

Frage: Der Augenarzt diagnostizierte den Beginn des Grünen Stars. Ich muss täglich mit Timogel-Tropfen das Auge behandeln. Nun habe ich gehört, dass Cannabis gegen Grünen Star sehr wirksam wäre. Wo bekomme ich das Präparat und wie heisst es? In Bern soll es bereits eine Cannabis-Apotheke geben.

Claude Vaney: Das ist ein umstrittener Punkt. Ich glaube aber, dass die traditionellen augendrucksenkenden Mittel hierbei besser helfen als Cannabis.

Frage: Ich bin 74 Jahre alt. Diagnose meiner Augenärztin: grosser Augeninnendruck und eventuelle Kataraktbehandlung in nächster Zeit. Ich schlafe auch schlecht – erwache um vier Uhr morgens und kann nicht mehr einschlafen. Welches Cannabisprodukt empfehlen Sie mir?

Claude Vaney: Möglicherweise könnten Sie sich durch den Augenarzt eine Cannabistinktur via Sonderbewilligung verschreiben lassen – wenn alle anderen Massnahmen versagt haben.

THC lässt keinen normalen Alltag zu

Um eine zweite Position zu verdeutlichen, folgt ein Passus zur allgemeinen Frage «Hilft Cannabis bei Grünem Star?». Dieser Abschnitt ist auf der Website des Kantonsspitals Winterthur(KSW)zu finden, geschrieben vonProf. Dr. med. Jörg Stürmer, der bis 2023 Chefarzt der KSW-Augenklinik war:

«Sind alle anderen Behandlungsmöglichkeiten, von Augentropfen bis zur Operation, ausgeschöpft oder nicht wirksam, könnten Patienten auf medizinisches Marihuana zurückgreifen. Das darin enthaltene THC senkt den Augendruck ebenfalls – allerdings nur, solange das Cannabis wirkt.»

Das bedeutet, dass diese Patienten mehrmals täglich Cannabis konsumieren müssten, was einen normalen Alltag natürlich nicht zulässt. Abschliessend lässt sich also festhalten: Die Studien und Erkenntnisse zu Cannabis sind noch zu wenig zahlreich – daher muss mit gesicherten Aussagen oder gar Empfehlungen zugewartet werden.


Quellen

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