Der sehbehinderte Läufer Mario Kämpfen ist seit 2023 als Retina Suisse Runner unterwegs. Kürzlich hat er seinen ersten Marathon absolviert – und zieht Bilanz über seine bisherige Rennkarriere.
Peter Jankovsky, Kommunikation Retina Suisse, peter.jankovsky@retina.ch
Als Durchschnittstyp kann man ihn ganz sicher nicht bezeichnen. Mario Kämpfen ist fast blind, und vor drei Jahren entdeckte er seine wahre Leidenschaft: das Rennen und die Teilnahme an Wettkämpfen. Der 40-jährige Walliser aus Visp hat ein Kunstauge, und auf dem linken Auge sieht er nur noch etwas in der Mitte des Gesichtsfeldes. Ausserdem ist auch sein Gehör eingeschränkt, was er mit Hörgeräten kompensiert.
Kämpfen leidet seit seinem 25. Lebensjahr an der schweren Netzhauterkrankung Retinitis Pigmentosa. Die Diagnose war für ihn ein Schock, doch dank seines eisernen Willens überwand er schnell den anfänglich lähmenden Zustand. Gerade weil Kämpfen wusste, dass er mit der Zeit immer weniger sehen würde, beschloss er, so aktiv wie möglich zu bleiben.
Zu 50 Prozent arbeitet der Walliser für das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport. In seiner freien Zeit widmet sich Mario Kämpfen seiner Frau und deren Kindern – und dem Laufsport. Er rennt aber nicht nur, um körperlich und mental fit zu bleiben. Er läuft auch, um alle sehbehinderten Menschen zu motivieren und die Öffentlichkeit für Netzhauterkrankungen zu sensibilisieren.
Den Betroffenen mehr Gehör verschaffen
Seit drei Jahren rennt Kämpfen wöchentlich 30 bis 50 Kilometer. «Diese sportliche Aktivität gibt mir enorm viel Zufriedenheit und schenkt mir auch die Kraft, um ein gutes Leben zu führen», sagt er. Bisher hat Kämpfen jährlich an rund vier Halbmarathons in der Schweiz und Oberitalien teilgenommen.
Mehrere Jahre war der Läufer aus Visp im Vorstand von Retina Suisse und ist nach seinem Rücktritt Mitglied der Patient*innenorganisation geblieben. Zudem leitet er die Walliser Retinitis-Pigmentosa-Gesprächsgruppe von Retina Suisse. Im Sommer 2023 kam Kämpfen mit der Geschäftsleitung von Retina Suisse überein, an einigen seiner geplanten Rennen im Namen der Patient*innenorganisation teilzunehmen.
Als «Retina Suisse Runner» ist es Kämpfens Ziel, allen von einer Netzhauterkrankung betroffenen Menschen öffentlich mehr Gehör zu verschaffen. Ausserdem will Kämpfen auch Geld für Retina Suisse sammeln, damit die Vereinigung ihren fundierten Informations- und Beratungsservice für Menschen mit Netzhauterkrankungen und anderen Augenkrankheiten weiter verstärken kann.
Jede Spende Zählt – Vielen Dank
Erstmals für Retina Suisse lief Mario Kämpfen im Oktober 2023. Er nahm am Halbmarathon von Locarno-Ascona teil: Das 21,3 Kilometer lange Rennen absolvierten rund 800 Läufer*innen, und Kämpfen landete auf Platz 459. Mit 2 Stunden und 5 Minuten erreichte er seine persönliche Bestzeit – noch nie war der Walliser so schnell gerannt.
Ans Tessin denkt er auch aus einem weiteren Grund sehr gerne: Nach dem Rennen hätten sich einige Teilnehmer*innen bei ihm dafür bedankt, dass er als Läufer mit Handicap die anderen animiert habe, weiterzumachen und den Lauf nicht abzubrechen. Er habe ihnen zusätzliche Energie gegeben.
Ein neuer Höhepunkt der Laufkarriere
Nach Locarno lief Kämpfen im Namen seiner selbst am Luzerner Halbmarathon und nahm auch am Zürcher Silvesterlauf teil. Danach begann Mario Kämpfen 18 Wochen lang noch härter als sonst zu trainieren – um als Retina Suisse Runner am Genfer Marathon Anfang Mai 2024 anzutreten. Es würde sein erster Marathon und somit ein neuer Höhepunkt seiner Laufkarriere sein.
Auch hier bewies der Walliser Läufer, dass sehbehinderte Menschen beachtliche Leistungen erbringen können. Am 42 Kilometer langen Rennen in Genf nahmen 2758 Läufer*innen teil. Die Vorgabe war, das Ziel in drei bis maximal sechs Stunden zu erreichen. Mit 4 Stunden und 50 Minuten Laufzeit kam Mario Kämpfen auf Platz 2430 zu stehen und erreichte damit eine klare vordere Position im letzten Drittel.
Hält er durch?
«Als ich mein letztes Training absolviert hatte, ging mir vor allem ein Gedanke durch den Kopf: Halte ich die ganzen 42 Kilometer meines ersten Marathons durch?», sagt Kämpfen im Rückblick. Und während des Marathons selbst sei er immer wieder von grossen Emotionen übermannt.
Auch hatte der Retina Suisse Runner mit einigen Krampfanfälle zu kämpfen. Diese überwand er aber dank seinem eisernen Willen – und dank der Begleitung durch seine langjährige Lauf-Guide Sandra Mostowfi aus Zürich. Mostowfi ist Mitglied des Vereins Blind Jogging und begleitet sehbehinderte Menschen beim Training und an Laufwettkämpfen. «Der Genfer Marathon war für mich hart, aber auch ein wunderbares Erlebnis, und ich bin meiner Guide Sandra sehr dankbar», so Kämpfen.
Toll war aus seiner Sicht auch die Rücksichtnahme und Solidarität der anderen Teilnehmer*innen. Während des Laufs stachelten sie Kämpfen immer wieder an – aber auch er selbst konnte, wie schon in Locarno, andere müde Laufende dazu motivieren, nicht aufzugeben.
Ein weiteres positives Erlebnis bescherte dem Retina Suisse Runner ein Kamerateam, das ihn im Schlussspurt begleitete und filmte. So konnte Kämpfen auf der Zielgeraden nochmals Kraft schöpfen und mit einem Lachen den Marathon beenden. Am Tag danach plagten ihn zwar einige Krämpfe und vor allem der Muskelkater, doch diese nach einem Wettkampf normalen Symptome vergingen beim ersten normalen Trainingslauf schnell.
Der Retina Suisse Runner war der einzige sehbehinderte Läufer, der die Genfer Rennleitung offiziell kontaktiert hatte und an den Start ging. Aus der Kategorie von Menschen mit eingeschränkter Mobilität absolvierten den Marathon neben Kämpfen noch einige Teilnehmer*innen im Rollstuhl.
Das Laufen tut auch mental gut
Natürlich ist der Walliser nun vollends auf den Marathon-Geschmack gekommen. Er hat sich diesbezüglich ein neues ehrgeiziges Ziel gesetzt, das er augenzwinkernd noch geheim hält. So oder anders, Kämpfen wird das Laufen nicht aufgeben, solange sein Körper mitmacht.
«Jeder Meter, den ich laufe, gibt mir das Gefühl, dass er mir guttut», betont Kämpfen. Das Laufen halte ihn in der Bahn, weil es bei seinem Krankheitsbild wichtig sei, wortwörtlich in der richtigen Bahn zu bleiben.
Retinitis pigmentosa ist eine Krankheit, die sich nicht stoppen lässt und oft zu Blindheit führt. Gerade weil Mario Kämpfen die schleichende Verschlechterung nicht verdrängen kann und will, ist es für ihn umso wichtiger, auch auf der richtigen mentalen Bahn zu bleiben. Das Laufen schenkt ihm Selbstvertrauen, Freude und inneres Wohlbefinden.
Das intensive Betreiben des Laufsports zeigt für ihn auch eine positive Wirkung auf die Netzhaut selber. Seit er regelmässig viel renne, habe er den subjektiven Eindruck, dass sich sein voranschreitender Sehverlust etwas verlangsamt habe, urteilt Kämpfen.
Nicht zuletzt bedankt sich Mario Kämpfen bei seiner Frau und deren Kindern: Sie würden ihn immer wieder zum Laufen motivieren und ihm den Rücken freihalten. Ebenso dankbar ist er dem Verein Blind Jogging – und natürlich Retina Suisse für die Unterstützung punkto Medien und Logistik.
Medienberichte über den Retina Suisse Runner: