«Ich vermittle mit meiner Stimme jenen, die das Fussballspiel nicht mit den eigenen Augen sehen können, ein lebhaftes Bild.»

Ein Gespräch mit Benjamin Winiger (48), Präsident des Vereins Blind Power und Kommentator von Fussballspielen.

Interview: Peter Jankovsky, Kommunikation Retina Suisse, peter.jankovsky@retina.ch

Herr Winiger, erlauben Sie zum Einstieg folgende Frage: Wie gut sehen Sie?

Mit meinen Linsen wunderbar – die haben aber 8,5 und 7,5 Dioptrien. Ohne diese Hilfe würde ich mich durch eine ziemlich verschwommene Welt bewegen.

Sie sind Präsident des Vereins Blind Power, der eine Audioplattform betreibt und die Audiodeskription von Sport- und Kulturanlässen fördert. Was war Ihre Motivation als normaler Brillen- bzw. Linsenträger, bei Blind Power mitzumachen?

Als Fussballkommentator für Audiodeskription kann ich verschiedene Anliegen umsetzen, die mir wichtig sind. Ich lebe mein Interesse am Fussball aus, zumal ich schon als kleiner Junge Sportreporter werden wollte. Der wichtigste Aspekt ist aber der soziale Teil. Wir von Blind Power machen es mit unserer Tätigkeit möglich, dass Menschen mit Sehbeeinträchtigung einen intensiven Zugang zu Fussballspielen erhalten, der sonst nur rudimentär geblieben wäre. Diese Aufgabe erfüllt mich enorm.

Warum bewegt Sie das Schicksal blinder und sehbehinderter Menschen?

Als sehende Person ist man einfach privilegiert. Ich bin dankbar für dieses Glück und möchte mit meinem Engagement bei Blind Power jenen helfen, die nicht dasselbe Sehvermögen haben.

Was macht Blind Power eigentlich alles?

In der Anfangsphase produzierten wir Radiobeiträge von Betroffenen und Nichtbetroffenen für Betroffene und Nichtbetroffene. Dann bauten wir die Live-Audiodeskription von Fussballspielen in Schweizer Stadien auf. Seit einigen Monaten arbeiten wir via SwissText auch mit dem Schweizer Fernsehen SRF zusammen und sind dort für die Audiodeskription von Spielen zuständig. Das sind Matches der Super League, Champions League und des Schweizer Fussballnationalteams, Männer und Frauen.

Das sind ziemlich grosse Posten.

Da ist noch mehr: Seit diesem Sommer arbeiten wir auch mit dem Schweizerischen Fussballverband, dem SFV, zusammen. Von den Anlässen des SFV decken wir aktuell Heimspiele der Nati der Männer ab. Im Hinblick auf die Women’s Euro 2025 ist es aber auch denkbar, dass wir die Nati der Frauen an der EM begleiten werden.

Damit sind Sie wohl ausgelastet.

Noch nicht ganz. Daneben stehen wir auch für Projekte aus dem Kulturbereich zur Verfügung, um diese mittels Audiodeskription barrierefrei zu machen – das prominenteste Beispiel ist der Grossanlass «Rendezvous Bundesplatz», für den wir Jahr für Jahr die Produktion der Audiodeskription übernehmen.

Sport ist also Ihre grosse Leidenschaft. Warum sind Sie eigentlich nicht selbst Sportler geworden, sondern Bankangestellter?

Ich habe mehr als zwanzig Jahre aktiv Fussball gespielt, aber immer nur auf bescheidenem Niveau. Für eine Sportlerkarriere fehlten mir einfach das Talent und der Ehrgeiz. Später habe ich mich dann für den klassischen kaufmännischen Berufsweg entschieden, trotz des Bubentraums vom Sportreporter.

Und wann kam Blind Power?

Vor fünf Jahren bin ich via soziale Medien auf Blind Power aufmerksam geworden und habe mich dort sofort gemeldet. Seither bin ich in den Schweizer Fussballstadien unterwegs.

Was ist so faszinierend am Kommentieren?

Mit meiner Stimme jenen, welche das Fussballspiel nicht mit den eigenen Augen sehen können, ein lebhaftes Bild zu vermitteln.

Hat man vor dem Live-Kommentieren Lampenfieber? Es ist ja keine einfache Sache.

Auch nach mittlerweile über 150 Einsätzen spüre jedes Mal eine gewisse Nervosität und Anspannung. Diese Gefühle verfliegen aber sofort, sobald ich auf Live-Sendung gehe.

Spiele kommentieren für Menschen mit Sehbehinderung läuft vermutlich anders ab als für normal Sehende.

Wir Kommentatorinnen und Kommentatoren von Blind Power beschreiben die Geschehnisse auf dem Platz eins zu eins. Wertfrei, neutral und dennoch mit Emotionen, Elan und Dynamik.

Ist die Kommentierung nicht komplizierter, weil Sie mehr beschreiben?

Wir beschreiben mit Worten, wie ein Pass gespielt wird, wo genau auf dem Platz das Spielgeschehen gerade stattfindet, ob vor dem Tor oder im Mittelfeld und so ähnlich. Wir erklären all das, was die normal sehenden Zuschauer selbst wahrnehmen können.

Wie hat das mit dem Kommentieren angefangen?

Blind Power hat die Audiodeskription ja nicht erfunden. Vielmehr ging es darum, in der Schweiz ein Angebot zu schaffen, das es damals, bei unserem Start der Sportkommentierung vor rund sechs Jahren, noch nicht gab.

Wie reagieren Menschen mit Sehbehinderung auf diesen Service?

Durchweg positiv. Und dank der verzögerungsfreien Übertragungstechnik können die Betroffenen auch selber ins Stadion kommen und so das Gehörte mit dem erlebten Ambiente vor Ort geniessen. Also zusammen mit dem Geruch des Rasens, sofern es ein Naturrasen ist, zusammen mit dem Duft von Bratwurst und Bier, zusammen mit dem Fangesang.

Was möchten Sie mit Ihrem speziellen Engagement der Gesellschaft signalisieren?

Es geht darum, die Leute zu sensibilisieren, die nicht von einer Einschränkung betroffen sind. Sie sollen möglichst viel Verständnis für die verschiedenen Handicaps und ihre Auswirkung auf das Alltagsleben entwickeln. Wir von Blind Power machen auf Sehbeeinträchtigungen aufmerksam, aber es gibt noch viele andere Behinderungen, die man ebenfalls besser wahrnehmen sollte.

Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Inklusion?

Die Gesellschaft ist eigentlich auf gutem Wege. Es gibt aber so viele Aspekte in Bezug auf die Barrierefreiheit und auf die Inklusion, dass die Sensibilisierungsarbeit nonstop weitergehen muss.

Das ist Ziel ist also noch lange nicht erreicht.

Wenn wir mit unserer Arbeit dafür sorgen können, dass unsere Welt nur schon ein kleines bisschen barrierefreier wird, dann sind wir glücklich und werden nicht müde, uns weiter einzusetzen. Und wir wollen auch andere motivieren, ihren Teil zur Barrierefreiheit beizutragen.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Blind Power soll noch stärker im kulturellen Bereich für Inklusion sorgen. Und wir könnten auch Anlässe weiterer Sportarten mit Audiodeskription begleiten.

Links:

Verein Blind Power

Benjamin Winiger auf Youtube

«Rendezvous Bundesplatz»

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