Retinitis pigmentosa (RP) gilt als die häufigste der erblich bedingten Netzhauterkrankungen. Über die Behandlungsmöglichkeiten wird intensiv geforscht, wie eine RP-Tagung von Retina Suisse in Basel deutlich gemacht hat.
Peter Jankovsky, Kommunikation Retina Suisse
«Wir wollen, dass es effiziente Therapien für Menschen wie Sie und mich gibt»: Mit diesen Worten eröffnete Retina-Suisse-Geschäftsleiter Stephan Hüsler die Tagung zu Retinitis pigmentosa von Anfang Dezember 2023 in Basel.
Hüsler selbst ist von dieser kurz «RP» genannten Erkrankung betroffen. Er setzt sich dafür ein, dass angepasste und neue Therapien das Fortschreiten von RP in möglichst naher Zukunft stoppen können – und irgendwann sogar die Heilung ermöglichen.
Der Geschäftsleiter von Retina Suisse hat zusammen mit Prof. Dr. Hendrik Scholl, Chefarzt der Augenklinik am Universitätsspital Basel, die RP-Tagung organisiert. Scholl ist als Direktor des Instituts für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel (IOB) auch stark in der Forschung engagiert, insbesondere was erbliche Augenerkrankungen anbelangt.
Pigmentierung der Netzhaut
Retinitis pigmentosa gilt als häufigste der erblichen Augenerkrankungen. Bei RP werden die rund 126 Millionen Stäbchen- und Zapfen-Fotorezeptoren der Netzhaut in Mitleidenschaft gezogen. Zunächst stellt sich Nachtblindheit ein, dann verengt sich das Gesichtsfeld. Schliesslich ist nur noch ein Tunnelblick möglich, der in vollständige Erblindung übergehen kann.
Bisher hat die Forschung um die 280 unterschiedliche Gene, die RP auslösen können, identifiziert und genau untersucht. Allerdings geht man davon aus, dass die Gesamtzahl solcher Gene noch viel höher liegt. Deshalb ist bereits die Diagnostik eine komplexe Angelegenheit. Und selbst wenn eine Diagnose vorliegt, lässt sich nicht immer das verantwortliche Gen finden. Momentan liegt die Identifizierungsquote bei etwa 85 Prozent.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gelangen bei Retinitis pigmentosa zur Anwendung? Aktuell stehen sechs Therapien zur Diskussion.
Therapie mit Nahrungsergänzungsmitteln
Ein sehr allgemeiner Therapie-Ansatz betrifft den Bereich der Ernährung: Verschiedene Vitamine und andere Wirkstoffe tun der Netzhaut gut und können degenerative Prozesse verlangsamen. Daher nehmen viele Menschen entsprechende Nahrungsergänzungsmittel zu sich.
Neue Studien haben aber gezeigt: Vitamin A nützt bei RP offenbar wenig bis gar nichts, und Vitamin E hat sich sogar als schädlich erwiesen. Daher wird die Augenklinik des Basler Universitätsspitals auch künftig keine Vitamin-Liste für die verschiedenen Formen von Retinitis pigmentosa empfehlen.
Augenstimulation
Eine andere, potenzielle Therapiemöglichkeit ist die Stimulation des Auges, kurz «OkuStim». Hierbei handelt es sich um transkorneale elektrische Stimulationen: Durch die Augenhornhaut hindurch wird die Netzhaut mit Strom angeregt.
Verschiedene klinische Versuchsreihen haben gezeigt, dass OkuStim-Methode – auch TES-Therapie genannt – neuroprotektiv ist, also die Nervenzellen in der Retina schützt. Das Bundesamt für Gesundheit interessiert sich für die Ergebnisse der Versuchsreihen und will das Thema «OkuStim» im zweiten Quartal 2024 breit diskutieren.
Lichtempfindlichkeit künstlich erzeugen
Französischen Ärzten ist es 2023 gelungen, in der Netzhaut eines RP-Patienten eine künstliche Lichtempfindlichkeit zu erzeugen. Besonders dafür geeignet schienen die überlebenden Zapfen-Fotorezeptoren zu sein, denn sie liessen sich wieder lichtempfindlich machen.
Die grundsätzliche Frage lautet hierbei: Wenn man die betreffenden Zapfenzellen in der Netzhaut anvisiert, sind sie bei der betroffenen Person in genügender Zahl vorhanden? Zu diesem Zweck ist in Basel die Eyeconic-Studie gestartet worden. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend.
Projekt «Get Ready»
Im Zusammenhang mit Therapiemöglichkeiten bei RP ist in Basel kürzlich auch das Projekt «Get Ready» initiiert worden, welches die EU finanziert. Dies geschieht im Rahmen des «European Joint Project for Rare Disease» (EJPRD). Einer der Projektpartner ist auch Retina Suisse.
Im Mittelpunkt dieses Projekts stehen laut dem Institut für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel (IOB) die Gene USH2a (kann das Usher-Syndrom oder RP auslösen) und EYS (ruft RP hervor). Das Ziel ist es nun, die beiden Gene trotz ihrer massiven Grösse behandelbar zu machen.
Mobilitätstest im Rahmen der Gentherapie
In Bezug auf die Gentherapie bei RP gibt es Neuigkeiten. Diese beziehen sich auf die Phase-3-Studie «Lumeos Trial»: Hierbei geht es um die Behandlung der X-chromosomalen RP, ausgelöst durch Mutationen im Gen RPGR. Im Mittelpunkt der Studie steht ein Vektor, der das gesunde Gen wieder in die Netzhautzellen einbauen soll. Man vollzieht dabei eine subretinale Injektion: Zu diesem Zweck erzeugt man eine Blase, in welche das Medikament gespritzt wird. Es verteilt sich mit der Zeit über die Netzhaut.
Zur besseren Überprüfung der Wirkung gelangt nun in Basel ein Mobilitätstest zur Anwendung. Es handelt sich um eine Art Labyrinth, durch welches die PatientInnen bei stark unterschiedlicher Beleuchtung hindurchgehen müssen. Vor dem Start wird jeweils eine bestimmte Lichtstufe eingestellt. Der Patient oder die Patientin muss Löcher, Schaumstoff, Stufen, Stoppschilder usw. erkennen und den Ausgang wiederfinden. Die Zeit, die er oder sie dafür braucht, sowie die Anzahl der gemachten Fehler werden sorgfältig registriert.
Hustensaft und Pharmakotherapie
Es gibt neue Studien, die in Antixodantien einen Ansatz für breitere RP-Behandlungen sehen. Ins Spiel kommt hierbei auch Hustensaft – was ist da der genaue Zusammenhang? Bei einer RP-Erkrankung lasse unter anderem die Sauerstoff-Versorgung in gewissen Zonen der Netzhaut nach, lautet die Hypothese der Forschenden. Das führe zu starkem oxidativem Stress für die noch gesunden Zapfenzellen und schliesslich zu deren allmählichem Verlust.
Nun haben Antioxidantien bekanntlich die Eigenschaft, dass sie den oxidativen Stress im Körper und somit auch der Zapfen reduzieren. Die verschiedenen Antioxidantien kann man über die Nahrung zu sich nehmen, aber als besonders wirksam hat sich der synthetisch hergestellte Wirkstoff N-Acetylcystein erwiesen. Er ist vor allem als Schleimlöser bekannt und daher in Hustensaft enthalten.
Ist also N-Acetylcystein bei einer RP-Behandlung im Spiel, handelt es sich um eine Pharmakotherapie. Dass sich vorerst ein gewisser positiver Effekt dieses Wirkstoffes auf die Zapfenzellen bei RP einstellt, wurde sowohl im Tierversuch wie auch in einer Phase-1-Studie erkannt.
In Basel soll dieses Jahr eine Phase-3-Studie mit dem Namen «NAC-Attack» starten – «NAC» ist die internationale Abkürzung für N-Acetylcystein. Ob eine NAC-Therapie aber tatsächlich langfristig und breit wirken kann oder ob sie letzten Endes eine schädliche Wirkung entfaltet, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Deswegen wird dringend empfohlen, sich selbst nicht mit NAC zu therapieren. Man sollte zuwarten, bis die Resultate der Studie vorliegen.
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