Stellensuche: zwischen Angst und Neugier

«Ihr Dossier hat uns sehr gefallen, jedoch passen andere Kandidat*innen noch etwas besser zu unserem Profil.»

Autorin: Jeannine Sutter, Koordinatorin Retina Suisse Youth

Viele von uns kennen diesen oder ähnliche Sätze aus den standardisierten Antworten auf eine eingereichte Bewerbung. Mit einer Sehbehinderung ist die Wahrscheinlichkeit zudem erhöht, dass man ihn mehrfach zu lesen bekommt. Dabei schwingt immer die unangenehme Frage mit, ob es wirklich an den Qualifikationen lag oder vielleicht doch die Sehbehinderung zu viel Unsicherheit und Angst ausgelöst hat.

Für mich ist der schriftliche Teil des Bewerbungsverfahrens die grösste Hürde, da ich für mich entschieden habe, meine Sehbehinderung im Lebenslauf zu erwähnen. Somit kann ich diese Tatsache nicht weiter kommentieren, während sich die HR-Fachperson Gedanken zu meinem Dossier macht. Auch fällt eine Absage leicht, solange ein Mensch bloss ein Dossier unter vielen ist.

Das persönliche Kennenlernen ist Trumpf

Für mich heisst das, ich muss als Fachperson und Mensch die Neugier der Recruiter wecken und mich als aktive Person präsentieren. Denn leider scheint die Meinung immer noch sehr verbreitet, wir Menschen mit einer Sehbehinderung sässen teetrinkend zu Hause und würden warten, bis uns jemand die Hand reicht.

Nervosität vor Vorstellungsgesprächen verspüre ich mittlerweile kaum noch. Nicht nur weil ich schon einige hinter mir habe, sondern auch weil ich weiss, dass das persönliche Kennenlernen mein Trumpf ist. Ich höre oft, dass meine positive und offene Art sehr gut wirke, manchmal sogar überrasche. Ich glaube, einen Teil davon verdanke ich der Sehbehinderung, denn ich bin es schlicht gewohnt, von fremden Menschen über mein Leben ausgefragt zu werden und dabei freundlich, offen und geduldig zu bleiben.

Die zusätzlichen Ressourcen erwähnen

Ausserdem kann so die stereotype Annahme, wir wären eher passive Menschen, die stets mit unserem Schicksal hadern, sogar zum Vorteil werden. Vieles, was für uns Normalität ist, wird uns von anderen als Stärke ausgelegt, und das dürfen wir ruhig nutzen. Viel zu oft veregssen wir, die zusätzlichen Ressourcen zu erwähnen, die wir Menschen mit Sehbehinderung im Alltag aufbringen müssen.

Mein Fazit: Wenn eine Absage wahrscheinlich mit der Sehbehinderung zu tun hatte, dann sagt dies mehr über den Absender aus als über euch selbst. An einem solchen Ort wollt ihr erst gar nicht arbeiten, und ihr müsstet möglicherweise ständig um euren Platz kämpfen. Wenn ihr eingeladen werdet, dann freut euch auf den Kontakt mit offenen Menschen und lasst euch überraschen, ob die Chemie stimmt.

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