Wie ist das Leben mit Grünem Star? Zwei betroffene Menschen aus dem Luzernischen erzählen.
Peter Jankovsky, Kommunikation Retina Suisse, peter.jankovsky@retina.ch
«Es war ein Schock, als man mir damals erklärte, ich könnte erblinden», sagt Erika Buri (Name geändert). Die 83-Jährige aus einem Dorf nahe Luzern leidet seit über zwanzig Jahren an einem Glaukom, sprich an Grünem Star. Bei dieser Krankheit ist der Innendruck des Auges zu stark, was ohne Behandlung allmählich zur Erblindung führen kann.
Früher sei Grüner Star nicht in aller Munde gewesen wie heute, so Buri. Kaum jemand habe gewusst, dass überhöhter Augendruck die Durchblutung des Sehnervs hemme und diesen langfristig stark schädige. Auch Erika wusste das nicht, zumal schlechtes Sehen für sie immer Normalität war. Schon als junge Frau wurde sie mit 16 Dioptrien als extrem kurzsichtig eingestuft. Sie kam damit im Alltag zurecht, war aber auf diese Weise stark prädisponiert für ein Glaukom.
Buris Augenprobleme begannen im Alter von 62 Jahren. Damals unterzog sie sich einer Augenoperation wegen Grauem Star (Eintrübung der Augenlinse, Fachbegriff «Katarakt»). Nach dem Eingriff wollte beim rechten Auge keine Besserung des Sehens eintreten. Wenn Erika ihr linkes Auge schloss, hatte sie Leseprobleme, erkannte einzelne Buchstaben nicht, sah Lücken im Text.
Richtige Diagnose kam spät
Erika Buri ging also wegen des rechten Auges irgendwann wieder zum Augenarzt – zu einem anderen als üblich. Dieser führte einen Gesichtsfeld-Test durch und nahm weitere Untersuchungen vor. Schliesslich habe er ihr gegenüber die niederschmetternde Aussage gemacht, sie könnte erblinden, erinnert sich die frühere KV-Angestellte. Und sie habe tatsächlich sehr grosse Angst gehabt, ihr Augenlicht bald zu verlieren.
Kaum hatte sich Buri vom ersten Schreck erholt, wollte sie schnell etwas unternehmen. So liess sie sich an einen Glaukom-Spezialisten am Basler Unispital überweisen. Erst dort erfolgte die Diagnose «Niederdruckglaukom».
Bei Grünem Star denkt man normalerweise an einen Flüssigkeitsüberdruck in der vorderen und hinteren Kammer der Augenlinse. Dieser überträgt sich dann auf das ganze Auge und beeinträchtigt so die Blutzufuhr zum Sehnerv dermassen, dass der Nerv immer stärker geschädigt wird. Als typische Folge reduziert sich zunehmend das seitliche Sehen, bis man nur noch wie durch Löcher oder wie durch einen Spalt sieht und schliesslich erblindet – wenn keine Behandlung erfolgt.
Jedoch hat fast jeder zweite Patient mit Glaukom einen normalen Augeninnendruck. Ein Niederdruckglaukom entsteht vermutlich, weil der Sehnerv schon auf normale Druckwerte empfindlich reagiert oder weil aus anderen Gründen Gefässveränderungen vorliegen. Ein Niederdruckglaukom kommt gerne bei Menschen mit generell niedrigem Blutdruck vor. Weil also Erika Buri eher unauffällige Augendruckwerte hatte, dachte ihr erster Augenarzt nie an Grünen Star.
Zwei Operationen mit Folgen
Genau betrachtet war ihr Augendruck an der Normobergrenze. Daher bekam Buri Tropfen verschrieben, um den Druck von 23 Millimetern Quecksilbersäule auf etwa 12 zu senken. Allerdings kam es als Nebenwirkung zu Entzündungen des Auges, und die Tropfen mussten mehrmals gewechselt werden.
Daher schlug man Erika nach etwa einem Jahr wieder eine Operation vor. Im rechten Auge sollte eine Öffnung geschaffen werden, um das Kammerwasser abfliessen zu lassen. Die OP verlief gut, allerdings litt Buri für zwei Monate unter starken postoperativen Schmerzen.
Nach einem Jahr begann der eigentliche Leidensweg. Die Öffnung ging immer mehr zu, so dass Erika Buri eine einmalige Spezialinjektion erhielt, um den künstlichen Abflusskanal offen zu halten. Leider griff der Wirkstoff dieser Spritze den Augennerv und auch die Retina an, was in Buris Wahrnehmung zu einer Abnahme der Sehkraft um zwei Drittel führte.
Also wurde sie schliesslich am rechten Auge erneut operiert. Und wieder stellte sich eine unerwartete Folge ein: Es kam zu einer teilweisen Ablösung der Aderhaut. «Seither sehe ich alles verschoben, auch die Gesichter der Leute, und ebenso Objekte auf dem Boden», sagt Buri. Daher müsse sie immer wieder das rechte Auge zukneifen oder mit der Hand abdecken. Ausserdem habe sie dadurch Probleme mit dem Gleichgewicht bekommen, so dass sie Gehhilfen benutzen müsse.
Nicht grübeln, nicht Angst haben
Anders als Buri leidet der Stadtluzerner Carl Niedermann (Name ebenfalls geändert) an Grünem Star, der neben anderen Faktoren durch Augenüberdruck entstanden ist. Beim heute 82-Jährigen begann es sehr unauffällig. Vor dreizehn Jahren hatte er zuerst eine leichte Trübung der Sicht. Das störte ihn kaum und schränkte ihn in seinen Tätigkeiten praktisch auch nicht ein.
Allerdings war Niedermann schon bewusst, dass etwas nicht stimmte. Daher war die Glaukom-Diagnose, als er endlich doch zum Arzt ging, keine grosse Überraschung. Denn er wusste, dass Glaukome wie auch Katarakte (Grauer Star, also Trübung der Augenlinse) häufige Augenkrankheiten sind. Auch war ihm klar, dass mit der Zeit einige Änderungen auf ihn zukommen würden – unter anderem das Autofahren aufzugeben.
«Sich dem Grübeln hinzugeben oder Angst zu haben bringt nichts», betont IT-Spezialist Niedermann, der seine Tätigkeit immer noch in Teilzeit ausübt. Nach einer Phase der Verschlechterung sei sein Zustand jetzt zum Glück ziemlich stabil und der Augendruck dank Tropfen normal.
Mit den Anpassungen in seinem Lebensalltag, zum Beispiel bei Treppen oder unebenem Grund viel Vorsicht walten zu lassen, komme er gut zurecht. Weil sein peripheres Sehen nicht so stark wie das zentrale Sehen betroffen ist, kann er sich relativ gut orientieren.
Normal grosse Texte auf Papier kann er zwar nicht mehr lesen. Aber dafür gebe es die Errungenschaften der modernen Technik, meint Niedermann. Besonders gut gefallen ihm grosse PC-Bildschirme mit Vergrösserungsoptionen, elektronische Brillen oder die Benutzung künstlicher Intelligenz (KI) als Erkennungsmethode.
Wenig Informationen für den Alltag
Carl Niedermann mag sich aber nicht mit allem abfinden. So wird seiner Ansicht nach den Menschen im Rentenalter, welche technische Seh-Hilfsmittel brauchen, entsprechende finanzielle Unterstützung nicht oder nur selten gewährt.
Auch erfolge keine ausreichende Information über Hilfestellungen, weil diese nicht in die medizinischen Behandlungen integriert seien. «Man muss alles selbst herausfinden», so Niedermann. Dabei sollten diese Tipps intensiver und systematischer verbreitet werden, denn viele Menschen würden im Alter schlecht sehen.
Daher rät er allen, die eine Glaukom-Diagnose erhalten haben: Man solle hartnäckig nachfragen im Hinblick auf mögliche technische Hilfsmittel. Oder was Erleichterungen im öV anbelangt, zum Beispiel bezüglich SBB-Begleit-Abo.
Körper, Gehirn und Geist werden müde
Im Gegensatz zu Niedermanns stabilem Zustand schreitet bei Erika Buri die Verschlechterung des rechten Auges weiter voran. Dies trotz aller möglichen Massnahmen der Ärzte. Seitlich sieht sie mit dem rechten Auge nichts mehr, und auch das zentrale, scharfe Sehen hat sich massiv verschlechtert.
Aber auch um das linke Auge ist es nicht gut bestellt. Das Gesichtsfeld ist aufgrund des Glaukoms stark eingeschränkt, Buri sieht nur noch wie durch einen schmalen Spalt. Will sie etwas mit dem Blick erfassen, muss sie den Kopf komplett in Richtung des betreffenden Objekts drehen. Ausserdem nimmt sie alles wie durch einen Nebel wahr, der gegen unten dichter wird.
Wenn also etwas zu Boden fällt, sieht Erika es nicht. Sie muss sich extrem vorsichtig bewegen, alles mit den Händen oder Füssen abtasten. Draussen braucht sie sehr oft Unterstützung, zum Glück ist ihr Ehemann ziemlich fit. Allein unterwegs sein mit dem weissen Stock funktioniert nur auf den wenigen Strecken, die sie sehr gut kennt. Zudem dauert die Hell-Dunkel-Adaption endlos lange.
Das angestrengte Sehen ermüdet Erika körperlich – und auch ihr Gehirn und ihren Geist. Manchmal muss sie sich hinlegen, weil sie leichten Schwindel bekommt. Aber können die Ärzte wirklich nichts tun? Im Moment erfolgt keine Behandlung mehr: «Ich bin ‘austherapiert’, wie man so sagt», erklärt Erika Buri.
Selbstdisziplin führt zu mehr Lebensqualität
In die Falle der Depression wollte sie aber nicht tappen. Also lernte sie unter Aufbietung von viel Selbstdisziplin, positiv zu denken. Sie macht auch viele körperliche Übungen, um beim Gehen das Gleichgewicht halten zu können. Aber vor allem hat Buri gelernt, Hilfe anzunehmen. Das war schwierig, weil sie früher sehr viel Wert auf ihre Autonomie legte.
«Mit der Krankheit fertig werden, um weiterleben zu können», so lautet Erika Buris Motto. Und tatsächlich: Sie hat es geschafft, sich eine gewisse Lebensqualität zu erhalten. Denn es gibt noch viel Positives in ihrem Leben, an dem sie sich erfreuen will.
(Dieser Artikel erschien als Erstpublikation im Retina Journal Nr. 155, Oktober 2024)
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